Achim Weinbergs Arbeiten erweitern als experimentelle Fotografien das klassische Spektrum der Botanischen Kunst. „Die Arbeiten sind Resultate intensiver kontemplativer Wahrnehmungsprozesse, hoher gestalterisch-technischer Ausdauer und überzeugender Konsequenz in der ruhigen Setzung der Motive. Dies verbindet ihn eindrucksvoll mit der Tradition Botanischer Kunst.“ meint Martin Traub in seiner bewusst persönlichen Einführung

Botanische Poesie aufmerksamer Durchleuchtung

Achim Weinberg begegnet botanischen Objekten zwar mit den technischen Mitteln der Fotografie. Doch seine Arbeiten wirken derart rätselhaft poetisch, malerisch in der feinen Differenzierung der Farbübergänge und so konsequent in der versammelt-ruhigen Konzentration der Aussage, dass sie gerade wegen dieses rätselhaften Bildursprungs faszinieren.
Die Irritation, etwas zu sehen, dem man so noch nie begegnet ist, provoziert ein freies unvoreingenommenes „Neusehen“. Anders als bei einem Perspektivwechsel, verliert der Betrachter die gewohnten alltäglichen Bezüge und öffnet, auf der Suche nach Bedeutung, ein kleines Fenster in den Raum ursprünglicher Erfahrung. Staunen ist in einer übervollen Bildwelt ein seltenes und kostbares Erlebnis. Bei Achim Weinberg begegnen uns grundlegende Erscheinungsformen botanischen Lebens, mit denen wir sinnlich und damit körperlich bedeutungsvoll verbunden sind.

Weinbergs „Durchlicht-Studien“ (oder durch Licht Studien) lassen Pflanzen im wörtlichen Sinne ihr Innerstes erkennen, machen Spuren organischer Prozesse des Lebendigen transparent und bewahren doch das poetische Geheimnis des nicht vollständig Enträtselbaren.
In der Serie der „Traubenporträts“ offenbaren sich zarte Filtrate botanischer Strukturen, die Embryonen gleich, im fluide-lebendigen Inhalt der Frucht zu schweben scheinen, von der Außenwelt nur getrennt durch die harte Schale der hauchdünn gespannten Umhüllung. Der Kern in seiner nährenden Umgebung als Ausgangspunkt neuen Lebens: ein trivialer biologischer Sachverhalt wird durch die magische Kraft der nuancenreichen Momentaufnahme neu erfahrbar und evoziert empathische Achtung angesichts des immer individuell Lebendigen. Die Einzigartigkeit dieser „Naturpersönlichkeiten“ betont Achim Weinberg durch die liebevolle Vergabe eines Vornamens für jedes seiner Traubenkinder, die er gern zum Gruppenbild versammelt zeigt.
Andere botanische Individuen schwimmen als „Weiße Beeren in Milch“, zart, geborgen und beschützenswert.
„Der Wandel“ verweist auf die vitalen Prozesse botanischer Transformation, nachfühlbar erzählt in der feinadrigen Unendlichkeit hochaufgelöster Momentaufnahmen einzelner Blütenblätter. Was für ein alltäglicher Zauber in der Kunst des botanisch Lebendigen. Botanical Art als Erlebnis und Schlüssel.

Die angespannte Stille konzentrierter Beobachtung begleitet den technisch anspruchsvollen Schaffensprozess der bildnerischen Experimente Achim Weinbergs. Ein Rückschluss auf den technischen Prozess der Fotografie ist dem Betrachter kaum möglich, obwohl Weinberg vollkommen auf die heute so gängigen digitalen Filter zur effektvollen Wirkungsverstärkung verzichtet. „Es verwundert nicht, wenn er als geschätzte Künstlerkollegen Meister der Kontemplation aufzählt: Wolfgang Laib und Marc Rothko“ schreibt seine Galeristin Sylvia Peter im Künstlerporträt des Forums Botanische Kunst.

Martin Traub

in Blätterrauschen, Ausgabe 62

Frühjahr 2023

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Spiritualität kann man in allem finden

 

Staunend nähert sich Achim Weinberg der Natur. „Spiritualität kann man in allem finden“ sagt er. Die Pflanzen dienen ihm als Medium, um das Wunder des Lebens zu erforschen. Die angespannte Stille des Staunens hält er bis zum fertigen Bild durch, und es verwundert nicht, wenn er als geschätzte Künstlerkollegen die Meister der Kontemplation aufzählt: Wolfgang Laib, Marc Rothko.

Achim Weinberg lebt in Nürnberg, er bezeichnet sich als Städter. So sind die botanischen Objekte, die er fotografiert, Objekte seines Alltags. Tafeltrauben und Schnittblumen sind Vertraute vom Küchentisch, deren Schönheit manchmal von seiner Tochter Lea entdeckt wird. Aufmerksam betrachtet er diese „Präparate“ in einem von ihm entwickelten Verfahren der Durchleuchtung. Er sucht nach Bildern, die sich selbst genügen und grundmenschliche Themen berühren. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist für ihn „Die Hülle und der Kern“. Das Wachstum von wassergefüllten Zellen wird in seinen stark vergrößerten Traubendurchschnitten spürbar, der eingebettete Kern ein universelles Bild der Entstehung von Leben.

 

Seine Fotografien manipuliert er nicht. Er will das, was er sieht, so unverfälscht und direkt wie möglich ins Bild setzen, was man ihm angesichts der immens leuchtkräftigen Farbflächen kaum glauben mag. Um dem brillanten Farbspektrum der lichtdurchströmten Früchte und Blütenblätter möglichst nahe zu kommen, lässt er die Bilder auf speziellem Papier aus Baumwolle in einem Fine Art Print Verfahren drucken, das elf statt der herkömmlichen vier Druckfarben verwendet. Als Perfektionist veranlagt, sieht er die Arbeit mit natürlichen Materialien und ihren zufälligen Abweichungen als wohltuend an. Achim Weinberg hat seine künstlerische Laufbahn als Maler und Bildhauer begonnen. Von handwerklich höchst anspruchsvollen Skulpturen aus geschwungenem Plexiglas ging er bald zu Installationen mit Watte und Honig über; Honig und Milch sind auch heute noch gelegentlich auftauchende Elemente seiner Fotografien.


Sylvia Peter

Künstlerin und Galeristin

Forum Botanische Kunst, Thüngersheim

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kern der dinge

 

Achim Weinberg erforscht den Kern der Dinge. Er nähert sich scheinbar unbedeutenden Objekten und bildet sie in extremer Nahsicht ab. (…) Die Strahlkraft dieser Bilder rückt das Unbedeutende in die Nähe einer Ikone, einem Andachtsbild zur induktiven Betrachtung der Welt.

 

Guido Schmid

im Ausstellungskatalog faden gefüge form,

Museum Schloss Ratibor, 2016
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bei den portraits…

 

…handelt es sich um Fotografien, die sich durch eine bemerkenswerte Tiefenräumlichkeit und höchste farbliche Brillanz auszeichnen.
Um den „Portraitierten“ maximale Präsenz zu verleihen, werden die Fotografien mit einem neuen Verfahren gedruckt, einem Fine-Art-Print, der elf, statt der herkömmlichen vier Farben einsetzt. Auch hier, in der Fotografie, arbeitet Weinberg mit dem Gegen- oder besser, mit dem Durchlicht und erzeugt mittels eines von ihm entwickelten Verfahrens jene so plastisch anmutende Tiefe.

Die Präsentation der Konterfeis in Reihen und Blöcken eröffnet unmittelbare Vergleichsmöglichkeiten. Charakteristische Eigenheiten des oder der jeweils Portraitierten werden ebenso wie feine Nuancen schneller erfasst, was scheinbar beiläufig die Einzigartigkeit jedes Individuums noch deutlicher vor Augen führt.

Es ist eine besondere Freude, dass eigens anlässlich unserer Ausstellung „Reihe – Rhythmus – Raum" ein Katalog erschienen ist. Der Bildband Portraits ist mehr noch ein Kunstbuch, das in seiner Aufmachung, mit dem wissenschaftlich forschenden Blick einerseits und seinem ästhetischen Blick andererseits, ein wenig an Karl Blossfeldts 1928 erschienene Urformen der Kunst erinnert.
In Weinbergs Buch sind die meisten Werke, die in der Ausstellung zu sehen sind, abgebildet.
Da keines der Portraits identisch, sondern absolut individuell ist, wurden die „Persönlichkeiten“ von Achim Weinberg mit Vornamen versehen.

Christiane Lischka-Seitz
Auszug aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung

„Reihe – Rhythmus – Raum“, Karlshof / Ellingen
 
Christiane Lischka-Seitz leitete von 2004-2012 das
Museum Lothar Fischer in Neumarkt i.d.OPf.
Die Kunsthistorikerin ist als Autorin und Kuratorin tätig.
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die mehrdeutigkeit
als prinzip des sehens

 

... So verschieden alle diese Arbeiten sind, so haben sie meines Erachtens doch einen inhaltlichen Zusammenhalt. Achim Weinbergs Arbeiten bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Erfinden und Finden, zwischen Berechnung und Zufall. Die konkreten, nachvollziehbaren, rückzuerschließenden Formen genügen sich selbst, ermöglichen aber durchaus Assoziationen und Übertragungen auf andere Bereiche als die der Kunst.

 

In den Objekten Achim Weinbergs wird die Mehrdeutigkeit als Prinzip des Sehens, das ja nie statisch ist, sondern immer Beziehungen zwischen verschiedenen Elementen, zwischen Formen und Farben herstellt, in Spannung gesetzt mit eindeutigen, exakten mathematischen Formationsregeln.
In den Fotoarbeiten, seinen neuesten Arbeiten, kon­zentriert er sich auf die Mehrdeutigkeit als Prinzip des Sehens. Und sie hängt nun mal ab von den Bezügen zwischen Subjekt und Objekt – „Alles was im Subjekt ist, ist im Objekt und noch etwas mehr. Alles was im Objekt ist, ist im Subjekt und noch etwas mehr.“ Dies schrieb Goethe in seinen Maximen und Reflexionen.


Dr. Amelie Himmel, 2006
aus dem Katalogtext „Mehr als die Substanz“

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 ... So wie diese Darstellung eine gewisse Morbidität und gleichzeitig Anziehungskraft ähnlich einem Vanitassymbol vermittelt, steht doch an linker Position die zartblütengleiche Reinheit. In der Mitte ereignet sich sowohl formal als auch inhaltlich schlüssig lebendige Pracht und ein stark energiehaltiges Strömen.
Drei existenzielle Zustandsformen klingen an und sind eng verbunden mit einem Mantra des Künstlers

 

„vom zentrum aus zum zentrum hin“

 

Klar benennbare und in ihrer Interpretation doch offene Bilder werden ausgelöst, ein Sehgenuss an Schönheit und Ausgewogenheit erzielt und gleichsam grundmenschliche Themen berührt.


Ulrike Rathjen, 2007
aus dem Katalogtext zur Arbeit „Kommen und Gehen“

 

Ulrike Rathjen ist Kunsthistorikerin und Yogalehrerin,

arbeitet frei und seit 2009 auch im Neuen Museum Nürnberg.

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der künstler tritt
einen teil seines kunstwollens
an die natur ab


Silvia Schindler, 2008
aus dem Katalogtext „Umwandlung – Umwertung“

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honigtisch, ...

 

... eine auf einem niedrigen Metallgestell montierte rechteckige  Glaswanne, die von unten hell erleuchtet wird – die offene Wanne ist mit Honig befüllt. Das Objekt steht an der rechten Seitenwand des Kellers. Triptychon nimmt das Auge gefangen, der Blick schweift zum Honigtisch – zu Helligkeit und Lichtfülle gesellen sich völlig neue Eindrücke. Die organische Substanz Honig wird sinnlich wahrnehmbar, die leuchtende Masse  verströmt verführerischen Duft. Während Triptychon  die Assoziation  des Kosmischen zuläßt, erdet Honigtisch die Sinneswahrnehmung förmlich.


Auf Beginn, die dritte Arbeit der Installation, fällt der Blick erst beim Verlassen des Gewölbes. Relativ klein, hängt der Lichtkasten auf der rückwärtigen Kellerwand, nahe dem Ausgang. Ein Honigtropfen, auf Watte gebettet, ein Goldnugget?


Entspringt Leben aus Teilung oder Verschmelzung? Ist im Großen das Kleine enthalten oder birgt das Kleine die Urform des Großen?


Silvia Schindler, 2008
aus dem Katalogtext „Gold, Ortung Schwabach“

 

Silvia Schindler, geb. 1946 in Überlingen/Bodensee,
Kunsthistorikerin, 
liebt Kunst und Natur gleichermaßen.

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"... Neben der Verwendung alltäglicher Präparate gibt es auch die andere Seite der Objektkunst:

 

die herstellung eines vollständig

neuen gegenstandes,

 

als Analogie zur industiellen Produktion oder als Paradoxie der Gebrauchswelt, so geschehen in Achim Weinbergs Kleinem Oval, einem in dieser Form angeordneten, honiggefüllten Silikonschlauch."

 

Armin Mühsam, 1999

in Applaus Kultur-Magazin, München

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da gibt es dinge, die immer wiederkehren.


Manchmal denke ich, nun würde ich etwas ganz anderes machen als früher. Und im Rückblick stelle ich fest, dass bestimmte Dinge immer wiederkehren. Egal ob ich Objekte gebaut habe, oder gebaute Objekte fotografierte, oder Dinge aus meinem Alltag heute zu meinem Material geworden sind – bestimmte Themen sind immer da.

Ein Motiv zieht sich nun schon seit mehr als zwei Jahrzehnten wie ein Faden durch meine Arbeit …

 

die hülle und der kern

 

… damit verbunden sind Grenze und Begrenzung … dann die Auflösung der Grenze … zum Beispiel durch Unschärfe an den Kanten … das Gegenlicht in der Fotografie … ebenso wie in den Objekten … und so fort.

Mittlerweile finde ich es gut, dass es so ist.  Mehr noch, ich würde sagen, das sind die spannenden Dinge, die wirklich etwas mit einem selbst zu tun haben.

Achim Weinberg, 2014

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